12 – 18 mal pro Minute atmet ein Erwachsener im Durchschnitt. Bei Anstrengung natürlich häufiger. 10.000 Liter Luft atmen wir täglich ein und aus. Viel Arbeit für unsere Lunge. Wobei unsere Lunge eigentlich ’nur‘ für den Gasaustausch zuständig ist. Atmen kann sie nämlich nicht alleine, dazu braucht sie Hilfe.
Atemmuskulatur
Die Lunge ist eines unserer wichtigsten Organe, aber eben kein Muskel. Sie kann sich nicht von selbst ausdehnen oder zusammenziehen. Dabei hilft ihr unsere Atemmuskulatur. Unser Hauptatemmuskel ist das Zwerchfell. Unterstützt wird es von der Zwischenrippenmuskulatur, welche den Abstand zwischen den Rippen vergrößern und verkleinern kann, und durch verschiedene Skelettmuskeln, die besonders bei Anstrengung zusätzlich die Rippen heben und senken helfen. Das Zwerchfell übernimmt jedoch mit 60-80% die meiste Muskelarbeit.
Das Zwerchfell
Das Zwerchfell ist ein kuppelförmiger Muskel, der Brustkorb und Bauchraum voneinander trennt. Bei der Einatmung flacht sich die Kuppel ab, drängt die unteren Rippen auseinander und zieht die Lunge mit sich nach unten. Dadurch entsteht ein Unterdruck in der Lunge. Die Folge ist – wir atmen ein. Wenn sich das Zwerchfell wieder entspannt und hebt, atmen wir aus. Je beweglicher das Zwerchfell ist, desto tiefere Atemzüge sind möglich. Das was wir Bauchatmung nennen ist also eigentlich die Zwerchfellatmung.
Beim Sport atmen wir schneller, aber meist auch tiefer und nutzen zusätzlich die Atemhilfsmuskulatur. Bei Stress oder emotionaler Erregung steigt die Atemfrequenz und die Atmung wird dabei gleichzeitig meist flacher, das heißt sie wird schneller, findet aber mehr im Brustkorb statt und weniger im Bauchraum. Wenn wir entspannt sind, wird die Atmung automatisch langsamer und findet meist wieder mehr über unser Zwerchfell statt.
Sport für das Zwerchfell stellt Singen dar. Beim Singen, besonders natürlich bei professionellen Opernsängern, muss das Zwerchfell sich besonders gut bewegen können.
Eine Besonderheit des Zwerchfells ist, dass dieser Muskel teilweise autonom und teilweise willkürlich angesteuert wird. Zur Erklärung muss ich etwas ausholen. Unser Nervensystem ist in zwei Bereiche aufgeteilt. Das somatische oder willkürliche Nervensystem, welches unsere Skelettmuskulatur steuert, für die meisten Reflexe zuständig ist und uns Reize wahrnehmen und unsere Umgebung spüren lässt. Und das vegetative oder autonome Nervensystem, welches wir nicht willentlich beeinflussen können und zum Beispiel unser Herz und unsere Blase steuert. Das vegetative Nervensystem hat wiederum drei Bereiche. Den Sympathikus, der eher anregend arbeitet, den Parasympathikus, der eher dämpfend wirkt, und das enterische Nervensystem, das unter anderem die Abläufe im Magen-Darm-Trakt regelt.
Das Zwerchfell kann also autonom arbeiten, was vor allem nachts gut ist und auch sonst dafür sorgt, dass wir nicht über jeden Atemzug nachdenken müssen. Wir können jedoch unsere Atmung auch bewusst lenken, zum Beispiel tiefer atmen oder die Luft anhalten. Und gerade dadurch haben wir die Möglichkeit unser Vegetativum mit zu beeinflussen, denn bei Stress wird die Atmung zwar automatisch schneller und flacher, wenn wir jedoch willkürlich langsamer und tiefer atmen reduziert das umgekehrt auch den aktuell wahrgenommenen Stress. Aus diesem Grund ist die Atmung ein so wichtiger Teil von Entspannungstherapie.
Teamplayer
Das Zwerchfell ist ein Teamplayer. Es arbeitet nicht nur mit der Atemhilfsmuskulatur zusammen, sondern auch mit der Bauchmuskulatur, dem Beckenboden und Rückenmuskeln. Wenn sich das Zwerchfell für die Einatmung senkt, dann müssen die Bauchorgane Platz machen. Die Bauchmuskulatur ermöglicht das, indem sie nachgibt. Eine sichtbare Vorwölbung des Bauches ist die Folge. Auch die unteren Rückenmuskeln geben nach, die Bewegung dort ist allerdings deutlich kleiner, mit etwas Übung aber gut zu spüren. Und der Beckenboden macht dasselbe. Auch er gibt bei der Einatmung haltend nach und senkt sich leicht ab. Diese Bewegung ist ebenso deutlich kleiner, als die Bewegung des Bauches. Da wir unseren Beckenboden normalerweise nicht sehen und er diese Bewegung automatisch mit macht, ist uns diese Bewegung oft nicht bewusst. Wir können aber lernen sie wahrzunehmen und zu steuern. Bei der Ausatmung, wenn sich das Zwerchfell wieder hebt, bewegt sich der Beckenboden wieder mit in dieselbe Richtung und hebt sich ebenfalls wieder. In der Beckenbodentherapie koppeln wir aus diesem Grund häufig die Ausatmung mit der Aktivierung des Beckenbodens. (Wobei das Weiteratmen wichtig ist, bitte nie die Luft dabei anhalten.)
Bauch rein, Brust raus
Sowohl in der Einzeltherapie als auch in Gruppen kommt es häufig vor, dass die Atmung nicht wie beschrieben abläuft. Viele ziehen den Bauch beim Atmen ein oder halten ihn immer in der selben Position. Die Atembewegung findet dann hauptsächlich im Brustkorb statt oder im Oberbauch. Auch der Beckenboden bewegt sich häufig nicht so mit, wie er sollte. Dann fällt es schwer Bewegung in der Tiefe zuzulassen und es fühlt sich leichter an den Beckenboden bei der Einatmung mit anzuspannen. Wer bei Anstrengung einatmet neigt oft auch zum Luftanhalten, was zu einem erhöhten Druck in Brustkorb und Bauchraum führt. Das wollen wir besonders bei Organsenkungen und Inkontinenz vermeiden.
Die Ursache für die fehlende Atembewegung besonders in Unterbauch und Beckenboden kann Stress sein. Auch eine dauerhaft eingesunkene Sitzhaltung erschwert eine tiefe Atmung. Und besonders Frauen haben oft auch leider einfach Probleme damit, die Bauchbewegung zuzulassen, um immer schlank auszusehen. Das ist manchmal so zur Gewohnheit geworden, dass es viel Übung braucht eine gute Zwerchfellatmung mit Bewegung bis in die Tiefe zu erreichen. Aber lernen kann das jeder.
Beckenboden und Atmung
Wie schon erwähnt, sollte sich der Beckenboden bei der Atmung mitbewegen. Er muss bei der Einatmung nachgeben können und sich bei der Ausatmung wieder heben. Diese beiden Bewegungen sind für eine gute Beckenbodenfunktion gleich wichtig. Ein Muskel, der nicht nachgeben und seine Spannung reduzieren kann, kann auch seine Kraft nicht voll entfalten und nicht gut aktiviert werden.
Sich heben und, in Zusammenarbeit mit der Schließmuskulatur, schließen muss der Beckenbodenbereich bei jeder Druckerhöhung können, um die Kontinenz zu sichern und zu verhindern, dass die Beckenorgane nach unten gedrückt werden. Nachgeben muss er nicht nur bei der Atmung. Nachgeben und öffnen muss er können, um die Entleerung von Blase und Darm zu ermöglichen. (Und in extremerem Ausmaß, um eine Geburt zu unterstützen.) Wenn Beckenboden und Schließmuskulatur das gut können, ist normalerweise bei der Entleerung kein Drücken und Pressen nötig.
Zur Erinnerung
Besonders kräftig anspannen muss sich die Muskulatur beim Husten oder Niesen. (Und hier kommen die Ausatmung und die Anspannung automatisch wieder zusammen.) Bei Problemen mit dem Beckenboden, mit Inkontinenz, Organsenkung oder einfach zur Prophylaxe, ist es hilfreich beim Husten und Niesen den Druck nach unten so weit es geht zu reduzieren.
Dazu hält man den Oberkörper gestreckt, dreht sich leicht zu einer Seite, hebt auf dieser Seite den Ellbogen weit nach oben und hustet oder niest in die Ellbeuge. Zusätzlich sollte man den Beckenboden mit anspannen, wenn er das nicht oder nicht ausreichend von alleine macht. Die Streckung des Oberkörpers ist zur Druckreduktion besonders wichtig. Die Ellbeuge aus Hygienegründen.
Einfache Atemübungen
Am Anfang ist es am Leichtesten Atemübungen im Liegen zu machen. Der ganze Körper kann sich entspannen und man kann sich voll auf die Atmung konzentrieren. Wenn man dafür gesorgt hat bequem zu liegen, die Hände auf den Bauch legen und erstmal für eine Weile nur spüren, was an Atembewegung gerade ankommt. Findet mehr Bewegung im Oberbauch statt oder auch im Unterbauch? Bewegt sich vorwiegend der Brustkorb? Dann versuchen, die Atembewegung in den Unterbauch zu lenken. Das klappt nicht immer beim ersten Versuch. Bitte nicht mit Anstrengung, sondern möglichst entspannt die Atmung in die Tiefe lenken. Ist auch im Beckenbodenbereich eine Mitbewegung spürbar? Das wäre super, braucht aber häufig ein paar Wochen Übung.
Zur Atemlenkung und -vertiefung sind Bilder häufig hilfreich. Eine Möglichkeit ist es, sich einen Luftballon vorzustellen, der im Bauch- und Beckenraum liegt, sich mit der Einatmung füllt und mit der Ausatmung leert. Und wie bei einem echten Luftballon ist die Bewegung nicht überall gleich groß. Zur Seite hin bewegt er sich mehr, der Bauch wölbt sich, und an der Spitze weniger, der Beckenboden gibt etwas nach.
Es gibt noch viele weitere Atemübungen, die für den ganzen Körper entspannend sind und die gleichzeitig dem Beckenboden helfen können gut zu arbeiten und sich nicht zu verkrampfen. Auch Schmerzpatienten können davon sehr profitieren. Eine Anleitung bei einer spezialisierten Physiotherapeutin kann ich bei Problemen nur empfehlen. Dazu möchte ich wieder auf die Therapeutenliste der AG GGUP verweisen. http://www.ag-ggup.de/therapeutenliste
Lucia Sollik Physiotherapeutin Beckenbodentherapie
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