Aktuelle Studien zu lesen kostet zwar viel Zeit, aber es hilft auch dabei, das eigene Vorgehen in der Therapie immer wieder zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Dieser Artikel soll einen kleinen Überblick über die Studienlage zur Beckenbodentherapie bei Männern geben.
In den letzten Jahren hat sich die Studienlage für die Beckenbodentherapie glücklicherweise deutlich verbessert. Dank gilt hier den vielen engagierten Physiotherapeut*innen weltweit, die diese Studien zur Beckenbodentherapie machen. Große Konzerne oder Pharmaunternehmen haben logischerweise wenig Interesse an Studien dieser Art, denn mit Physiotherapie lässt sich für sie kein Geld verdienen. Patient*innen weltweit profitieren aber sehr davon, denn die Lebensqualität lässt sich durch gute Therapie oftmals deutlich verbessern.
Männer leiden nur halb so oft unter Symptomen einer Inkontinenz wie Frauen, wobei die Häufigkeit mit dem Alter deutlich steigt. Die Studienlage bei Männern ist zur Zeit allerdings leider noch schlechter als bei Frauen, wird aber von Jahr zu Jahr besser.
Mit dem Beckenboden haben Männer am häufigsten dann zu tun, wenn sie eine Radikale Prostatektomie, also eine Operation zur Entfernung der Prostata wegen eines Tumors hatten. Mittlerweile wird diese Operation häufig mit der roboterassistierten Da Vinci-Methode ausgeführt. Diese Studie von 2018 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29540090/ verglich in zwei Gruppen den generellen Effekt von Beckenbodentraining oder keinem Training. Sie gelang zu dem Ergebnis, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen gab und dass Beckenbodentraining hilfreich und sinnvoll ist.
Dieses systematische Review – eine Auswertung mehrerer einzelner Studien – von 2019 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31814714/ gelangte zum selben Ergebnis. Acht Studien mit insgesamt 1078 Patienten wurden ausgewertet und zeigten alle, dass Beckenbodentraining nach Radikaler Prostatektomie Inkontinenz verringert und zudem die Lebensqualität verbessert.
Und auch dieses systematische Review mit Meta-Analyse von 2018 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30137629/ zeigte ein ähnliches Ergebnis. Hier wurden Scheinbehandlungen und Placebos verglichen mit reinem Beckenbodentraining sowie mit Beckenbodentraining in Kombination mit Elektrostimulation oder Biofeedbacktraining. Alle Varianten brachten eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu Scheinbehandlung oder Placebo. Eine leichte weitere Verbesserung durch Elektrostimulation scheint gegeben, ein zusätzlicher Effekt durch Biofeedback konnte in dieser Studie nicht eindeutig festgestellt werden.
Eine andere Studie von 2019 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31729959/ untersuchte, wie sich zwei verschiedene Arten von Beckenbodentrainingsprogrammen, welche 5 Wochen vor Radikaler Prostatektomie starteten, auf die Kontinenz nach der OP auswirkten. Bei dieser Studie ging es nicht darum festzustellen, ob die Therapie sinnvoll ist, da das bereits durch viele Studien, wie ihr bereits gelesen habt, belegt wurde. Die Kontrollgruppe erhielt ein Standardtrainingsprogramm für die Beckenbodenkräftigung, die Interventionsgruppe erhielt ein intensiveres Programm. Die Interventionsgruppe schnitt in allen Bereichen besser ab als die Kontrollgruppe. Die Kombination von Ausdauerübungen und Schnellkraftübungen, plus häufigeres Üben am Tag und üben nur im Stand anstatt im Liegen oder Sitzen scheint laut dieser Studie deutlich effektiver zu sein als das Standardtraining. Die Studienleiter empfehlen einen Beginn der Therapie vor der Operation.
Auch von Stuhlinkontinenz können Männer betroffen sein. Die Daten dazu sind jedoch rar. Diese Studie von 2016 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27881404/ kommt zu dem Schluss, dass eine Stuhlkontinenz bei Männern häufig ist und eine Behandlung zum Beispiel mit Biofeedback hilfreich. Jedoch gehen Männer viel seltener mit solchen Problemen zum Arzt und nutzen Therapieangebote seltener.
Ein weiterer Bereich, beim dem Männern Beckenbodentherapie helfen kann sind Schmerzen im Beckenbodenbereich und sexuelle Dysfunktionen. In diesem Review von 2016 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27872005/ wurde ein enger Zusammenhang zwischen dem Beckenboden und den genannten Symptomen festgestellt und davon ausgegangen, dass Beckenbodentherapie hierbei hilfreich ist und ein notwendiger Teil für eine bio-neuromuskulär-psychosoziale Herangehensweise in der Therapie von Beckenbodenschmerzen und sexueller Dysfunktion bei Männern.
Den Einfluss von Beckenbodentraining auf eine erektile Dysfunktion oder frühzeitigen Samenerguss untersuchte das folgende systematische Review von 2019 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30979506/ , bei dem 10 verschiedene Studien ausgewertet wurden. Sowohl die erektile Dysfunktion als auch der frühzeitige Samenerguss lassen sich durch Beckenbodentraining positiv beeinflussen. Welches Vorgehen in der Behandlung das beste ist, ließ sich bisher anhand dieser Studien jedoch nicht feststellen.
Mehr frei zugängliche Studien zu diesem Thema aus den letzten Jahren konnte ich nicht finden, die Ergebnisse sind allerdings so homogen, dass sie eindeutig für ein Beckenbodentraining sprechen. Wer Probleme mit Inkontinenz jeglicher Form, mit Schmerzen oder sexuellen Dysfunktionen hat, sollte in jedem Fall zuerst ärztliche Hilfe suchen. In vielen Fällen ist dann Physiotherapie eine gute Behandlungsmöglichkeit. Spezialisierte Physiotherapeut*innen sind unter http://www.ag-ggup.de/therapeutenliste zu finden.
Lucia Sollik Physiotherapeutin Beckenbodentherapie
Meinen Artikel zum Thema Männer und Beckenboden mit weiteren Infos findest du hier: https://beckenbodenphysiotherapielucyreport.news.blog/2020/02/04/maenner-und-beckenboden/
Ein Kommentar zu “Was sagen eigentlich Studien dazu – Teil 2 / Männer und Beckenboden”