Es gibt viele Probleme und Erkrankungen, bei denen eine physiotherapeutische Behandlung Kindern helfen kann. Dazu zählen auch Probleme wie Enuresis nocturna, also nächtliches Einnässen, Harn- oder Stuhlinkontinenz, Verstopfung und Ähnliches.
Beim Thema Beckenbodentherapie denken viele zuerst an Kräftigung. Doch sie umfasst viel mehr als das! Besonders bei der Behandlung von Kindern ist eine Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur nur selten das Ziel. Meist stehen die Wahrnehmung, das Wissen um die physiologischen Abläufe bei der Blasen- und Darmentleerung, ein gutes Toilettenverhalten und ein gutes Trink- und Essverhalten im Vordergrund.
Normale Entwicklung
Für die meisten Eltern sind die Entwicklungsschritte ihres Kindes spannend zu verfolgen und wichtig. Doch gerade der Vergleich mit anderen Kindern führt oft dazu, dass Eltern unsicher sind, ob sich ihr Kind ’normal‘ entwickelt und ein gewisser Druck vorhanden ist, wenn das Kind nicht zu den ‚Schnellen‘ gehört. Welches Kind in der Krabbelgruppe sich schon dreht, als erstes läuft oder spricht wird teilweise neidisch beobachtet. Dabei ist die Spanne dessen, was in der Kindesentwicklung als normal gilt, sehr weit und eine Entwicklung in diesem Rahmen hat langfristig keinen weiteren Aussagewert. Geht es um das Trockenwerden steigt der Druck auf Eltern und Kind oft nochmals an, gerade als ob es eine besondere Erziehungsleistung sei, wenn das Kind schon frühzeitig auf ein Töpfchen geht oder keine Windel mehr braucht. Doch gerade in diesem Bereich der Entwicklung hängt Vieles von den Genen und von der Wahrnehmung ab. Bis zum Alter von 5 Jahren gilt es als völlig normal, wenn ein Kind noch eine Windel braucht oder es immer wieder zum Einnässen kommt. Da sollte sich auch niemand von anderen Eltern oder dem Kindergarten Druck machen lassen – diese Entwicklung braucht eben einfach Zeit, mal mehr mal weniger.
Wann braucht es Hilfe?
Auch im Alter von 7 Jahren nässen noch 10 % aller Kinder tagsüber und/oder nachts ein. Die Ursachen dafür können unterschiedlich sein, treten aber oft familiär gehäuft auf, d.h. oft hatte ein Elternteil als Kind das gleiche Problem. Ab dem Alter von 5 Jahren sollte mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin gesprochen werden und bei Bedarf ein Spezialist aufgesucht werden. Hierbei geht es erst einmal darum körperliche Ursachen oder Erkrankungen auszuschließen. Wenn diese ausgeschlossen sind, wird meist weiter abgewartet, ob das Einnässen von alleine vergeht.
Wenn es auf den Schulstart zugeht wird es für viele Eltern, besonders bei der Inkontinenz am Tag, dringlicher sie zu behandeln. Das nächtliche Einnässen ist ein besonderes Problem, wenn es um das Übernachten bei Freunden oder einen Schulausflug mit Übernachtung geht.
Unterstützung für das Kind
Besonders wenn es um das Thema Inkontinenz, Einnässen und vielleicht sogar Stuhlschmieren oder Stuhlinkontinenz bei Kindern geht, ist es wichtig, dass sich Eltern bei aller Belastung, die für sie dadurch entsteht, bewusst machen, dass Kinder das so gut wie nie absichtlich machen! Vorwürfe und schimpfen helfen nicht, sie erhöhen nur den Druck. Das Kind hat noch nicht die volle Kontrolle über Blase oder Darm und braucht Unterstützung für die Entwicklung dieser Kontrolle. Viele sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass das Kind einen ‚Unfall‘ hatte, wenn es Urin verloren hat. Diesen Begriff finde ich nicht so gut, weil er ebenfalls impliziert, das Kind wäre schuld daran und hätte Einfluss darauf, was meist nicht der Fall ist.
Manchen Kindern scheint es nichts auszumachen, wenn sie morgens in einer Pfütze wach werden oder tagsüber die Hose nass wird. Vielleicht ist das ihre Methode damit umzugehen, dass sie (noch) keinen Einfluss darauf haben. Für die Behandlung ist es natürlich hilfreich, wenn das Kind auch selbst möchte, dass die Inkontinenz verschwindet und nicht nur die Eltern das wünschen.
Beeinflussende Faktoren
Neben der bereits erwähnten familiären Häufung können sich auch andere Dinge auf eine Inkontinenzproblematik auswirken. Wenn ein Kind zum Beispiel ADHS oder ADS hat, ist oftmals auch die Körperwahrnehmung anders, was dazu führen kann, dass der Harndrang nicht so gut wahrgenommen wird oder es besonders schwer fällt das Spielen für den Toilettengang zu unterbrechen. Asthma kann sich ebenfalls auswirken, wenn sich eventuell durch die Atemprobleme auch die Spannung im Beckenboden erhöht.
Das häufigste begleitende Problem ist jedoch eine Neigung zu Verstopfung. Viele Kinder neigen zu Verstopfung, was sich stark auf die Blase auswirkt. Viele Kinder trinken zu wenig und/oder essen ungern Gemüse. Besteht ein Problem mit Verstopfung oder festem Stuhl, muss diese in jedem Fall zuerst behandelt werden, bevor das nächtliche Einnässen oder die Harninkontinenz während des Tages erfolgreich behandelt werden können.
Um eine ausreichende Trinkmenge zu erreichen, die bei Siebenjährigen bereits bei ungefähr einem Liter liegt, ist es gut, wenn Kinder nicht schlückchenweise trinken, sondern möglichst immer gleich ein Glas Wasser oder verdünnten Saft auf einmal austrinken. (Auch Tee mögen manche Kinder gerne, Früchtetee kann jedoch die Blase reizen, was bei einer Drangproblematik beachtet werden sollte.) Zudem hilft es, wenn klar über den Tag verteilt zu bestimmten Zeiten oder Anlässen getrunken wird, da Wenigtrinker häufig auch wenig Durstgefühl haben. Tagsüber vergessenes Trinken abends nachzuholen ist natürlich bei Enuresis eher ungünstig.
Sollte es nicht ausreichen die Trinkmenge zu erhöhen und die Ernährung ein wenig umzustellen, dann kann mit der Kinderärztin/dem Kinderarzt besprochen werden, welche weiteren individuellen Maßnahmen in diesem Fall sinnvoll sind. Ein Kind sollte im Idealfall täglich Stuhlgang haben. Aber egal ob täglich oder nur alle 2-3 Tage, der Stuhl sollte geformt, aber weich sein. Auch drücken oder pressen sollte zur Darmentleerung nicht notwendig sein.
Toilettenverhalten
Wenn Kinder ‚trocken werden‘, ist die Wahrnehmung für die Füllung von Blase und Darm der erste wichtige Faktor. Dieses Druckgefühl muss dann mit der Entleerung in Verbindung gebracht werden. Bei manchen Kindern passiert das sehr unkompliziert, manche haben beim Spielen im Sommer im Freien ein Aha-Erlebnis oder beim Beobachten oder Wickeln eines Geschwisterkindes. Es gibt auch schöne Kinderbücher zu diesem Thema, die kindgerecht zeigen, was da im Körper so los ist.
Geht es dann darum auf der großen Toilette Blase oder Darm zu entleeren, ist ein Hocker in Verbindung mit Toilettenaufsatz oder ein Aufsatz mit Treppe optimal, damit das Kind auch gut und entspannt sitzen kann. Entspannung ist für die Entleerung sehr wichtig, weshalb es ungünstig ist mit baumelnden Beinen auf dem Klo zu sitzen. (Probieren Sie das einfach mal aus und spüren Sie, wie Ihre Beckenbodenmuskulatur darauf reagiert.)
Im Alter von 2-3 Jahren, wenn viele Kinder bereits anfangen auf Töpfchen oder Toilette zu gehen, ist ihre Blase noch sehr klein und entsprechend auch schneller voll. 10 Blasenentleerungen pro Tag sind in diesem Alter völlig normal. Das heißt jedoch auch, dass nicht viel Zeit ist, wenn das Kind spürt, dass es muss. Viele Eltern schicken ihr Kind deshalb immer wieder vorsorglich zur Toilette, besonders, wenn sie das Haus verlassen wollen, um eine nasse Hose zu vermeiden. Das ist anfangs verständlich (besonders im Winter, wenn es nicht reicht kurz anzuhalten und das Kind vielleicht auch noch einen Schneeanzug trägt), hilft aber nicht dabei zu lernen, wann die Blase tatsächlich geleert werden will. Kritisch wird es, wenn dieses vorsorgliche Blase entleeren auch noch gefordert wird, wenn das Kind älter wird. Mit jedem Jahr wird das Blasenvolumen normalerweise ja größer und das Kind lernt auch, noch ein wenig aushalten zu können, wenn gerade keine Toilette in der Nähe ist. Dazu muss es aber eben lernen zu spüren, was für Signale die Blase gibt und das wird erschwert, wenn zu oft vorsorglich auf’s Klo gegangen wird.
Spielen ist wichtiger
Ein häufiges Problem tagsüber ist, dass Kinder so in ihr Spiel vertieft sind, dass sie die ersten Signale ihrer Blase nicht wahrnehmen. Sollten sie den Drang dann doch bemerken, wenn er richtig stark wird, schaffen sie es manchmal trotzdem nicht mehr rechtzeitig zur Toilette. Zum einen ist es für sie gefühlt natürlich auch wichtiger weiter zu spielen und lästig das Spiel für den Toilettengang zu unterbrechen, zum anderen schaffen sie es häufig auch noch nicht, die Zeit für den Weg zum Klo einzuplanen.
Manche Kinder neigen dazu den Toilettengang dann viel zu lange aufzuschieben, was dazu führen kann, dass sich die Spannung in der Muskulatur erhöht und es schwer fällt die Blase ganz zu entleeren. Restharn mit einer erhöhten Gefahr für Harnwegsinfekte können hier die Folge sein.
Auf der Toilette angekommen lassen sich viele Kinder nicht genug Zeit für die Entleerung, was ebenfalls zu Restharn führen kann, oder sie versuchen durch drücken und pressen die Entleerung zu beschleunigen, was wiederum zu einer erhöhten Muskelspannung im Beckenboden führt und der Blase die Arbeit deutlich erschwert. Kinder können während der Entleerung zum Beispiel ein Lied singen, sich ein paar Seiten in einem Buch ansehen oder sich in Ruhe überlegen, was sie als nächstes spielen wollen, um die Zeit auf der Toilette angenehmer zu erleben. Das sollte jedoch wiederum auch nicht dazu führen, länger als ein paar Minuten auf der Toilette zu sitzen. Zeit lassen ist wichtig, aber selbst eine normale Darmentleerung sollte nicht länger als ein paar Minuten dauern.
Drang
Für die einen Kinder liegt das Problem also eher darin den Drang rechtzeitig wahrzunehmen, andere haben ein überhöhtes und zu häufiges Dranggefühl, obwohl die Blase kaum gefüllt ist.
Um herauszufinden, ob sich die Blasenfüllung im Normalbereich befindet, ist als erste Maßnahme ein Blasenprotokoll hilfreich. Also einfach in einen Becher pinkeln lassen und messen. Viele Kinder finden das sogar lustig. Ein fünfjähriges Kind sollte eine Blasenfüllung von ungefähr 180 ml erreichen können, ein siebenjähriges Kind von ca. 240 ml. Weichen die Werte deutlich ab, sollten weitere Untersuchungen gemacht werden, um herauszufinden, wo genau das Problem her kommt und was die sinnvollsten Maßnahmen sind. Zu den weiteren Untersuchungen zählen ein Ultraschall der Blase, bei dem unter anderem der Restharn abgeschätzt werden kann und der Uroflow, bei dem festgestellt werden kann, wie gut sich die Blase füllen und entleeren kann.
Maßnahmen
Die Beseitigung einer Verstopfung, sowie das Ess- und Trinkverhalten habe ich bereits angesprochen. Die weiteren Maßnahmen hängen natürlich davon ab, ob eine zu niedrige Füllmenge, häufiger Drang oder zu langer Aufschub vorliegen. Vielerorts führen Urotherapeuten Verhaltenstherapien wie die Blasenschule durch und beraten die Eltern. Zudem können Medikamente zum Einsatz kommen, Biofeedbackgeräte, um die Wahrnehmung zu Verbessern, ein Windelpiepser, um zu lernen den Harndrang nachts wahrzunehmen oder die doppelte Entleerung, wenn Restharn vorliegt, damit die Blase wieder lernt, sich vollständig zu leeren.
Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, ist Physiotherapie eine gute Ergänzung. Hierfür empfiehlt es sich zu spezialisierten Physiotherapeut*innen zu gehen, die sich mit der Behandlung von Kindern und Beckenboden auskennen. Zu finden sind diese zum Beispiel unter http://www.ag-ggup.de/therapeutenliste/therapeutenliste-kinder.
In der Physiotherapie geht es auch um Verhaltenstipps, jedoch ist die Körperwahrnehmung ein wichtiger Bereich der Therapie. Auch Atmung, Entspannung, Haltung, Kraft und Spannung der Rumpf- und Beinmuskulatur sind je nach Befund Teil der Behandlung. Auch bei Verstopfung gibt es physikalische und physiotherapeutische Maßnahmen, die helfen können.
Der Alltag der Kinder und der Eltern muss natürlich immer mit berücksichtigt werden. Oftmals braucht es kreative Ideen, um Lösungen zu finden. Viele ältere Kinder gehen zum Beispiel ungern in der Schule auf die Toilette, weil diese häufig sehr schmutzig sind und stinken. Desinfektionsmittel oder Seife dabei zu haben kann hier zum Beispiel hilfreich sein.
Manchmal braucht es doch mehr Kraft
Die Giggle-Inkontinenz kommt bei Jugendlichen, häufiger bei Mädchen als bei Jungs, vor der Pubertät vor. Hierbei kommt es zu Urinverlust in Verbindung mit Lachen. In diesen Fällen hat sich eine Beckenbodentherapie, auch mit Kräftigung, als hilfreich erwiesen.
Weitere Erkrankungen
Es gibt natürlich noch weitere Erkrankungen im Kindesalter, die sich auf Blase und Darm auswirken können und bei denen zum Teil Physiotherapie unterstützend hilfreich sein kann. Dazu gehören Fehlanlagen von Organen, zum Beispiel eine fehlende Niere, bei der Restharn besonders gefährlich wäre oder Fehlanlagen von Blase, Darm oder Darmausgang, bei denen eine Operation meist unumgänglich ist, Wahrnehmungsschulung oft aber unterstützend gut sein kann. Auch bei der Trisomie-21 kann es durch die oft niedrigere Muskelspannung und Darmträgheit zusätzlich zu Problemen kommen, wobei eine allgemeine Anregung der Muskulatur, mehr Bewegung und Kräftigung hilfreich sein kann.
Weitere Hilfen
In manchen Fällen kann eine Unterstützung durch eine Psychologin oder einen Psychologen notwendig und hilfreich sein. Wenn ein Kind bereits über längere Zeit trocken war und dann wieder einnässt, können psychologische Faktoren oder Stress eine Rolle spielen. Und auch Eltern können von psychologischer Hilfe profitieren, wenn die Situation in der Familie für viel Stress oder Streit sorgt.
In jedem Fall ist es wichtig zu wissen, dass es Hilfsmöglichkeiten gibt, manche Probleme aber auch mit der Zeit von alleine vergehen. Im Zweifelsfall sollten Eltern immer das Gespräch Fachkräften suchen, besonders, wenn entweder das Kind oder sie selbst durch die Situation belastet sind.
Hier nochmal der Link für diejenigen, die auf der Suche nach spezialisierten Physiotherapeut*innen sind: http://www.ag-ggup.de/therapeutenliste/ therapeutenliste-kinder
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Lucia Sollik Physiotherapeutin / Beckenbodentherapie